Geoffrey Hinton hat der KI das Laufen beigebracht – und warnt jetzt davor

von | 11.10.2024 | Digital

Diese Woche wurde der Physik-Nobelpreis vergeben, in diesem Jahr an den Briten Geoffrey Hinton und den US-Amerikaner John Hopfield. Die beiden haben die „Künstliche Intelligenz“ (KI) enorm vorangebracht.

Hopfield hat vor langer Zeit neue Speicherverfahren entwickelt, die neuronale Netze ermöglichen – Daten, die in etwa in unserem Gehirn gespeichert sind. Hinton ist eine Legende: Jahrzehnte hat er bei Google gearbeitet und die KI vorangebracht.

Er hat Methodiken entwickelt, die als „DeepLearning“ bekannt sind: Maschinen, die selbst lernen. Das hat die KI-Flut ausgelöst, die wir aktuell alle beobachten können. Doch der einstige „Vater“ der KI steht der KI mittlerweile kritisch gegenüber.

Perplexity ist von Ex-Mitarbeitern bei OpenAI (ChatGPT) entwickelt worden
Perplexity ist von Ex-Mitarbeitern bei OpenAI (ChatGPT) entwickelt worden

Warum den Physik-Nobelpreis?

Geoffrey Hinton erhielt den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Arbeiten im Bereich der Künstlichen Intelligenz, speziell für die Entwicklung von Deep Learning, einer neuen Methode des maschinellen Lernens. In der Kategorie Physik, weil Hinton dabei Methoden aus der statistischen Physik angewandt hat (unter anderem) – und das mit großem Erfolg.

Deep Learning basiert auf künstlichen neuronalen Netzen, die von Aufbau inspiriert sind vom menschlichen Gehirn. Hinton und sein Team entwickelten dabei die „Backpropagation„-Methode, die es solchen Netzwerken ermöglicht, aus großen Datenmengen zu lernen, ihre Fehler zu korrigieren und sich selbständig kontinuierlich zu verbessern. Je mehr Daten zum Trainieren, desto besser wird die KI. Etwas, was wir im Augenblick gut beobachten können.

Diese Innovation hat zu Durchbrüchen in Bereichen wie der Bild- und Spracherkennung, autonomen Fahrzeugen und medizinischen Diagnosen geführt. Was diese Technologie so revolutionär macht, ist die Fähigkeit der KI, komplexe Muster völlig eigenständig zu erkennen und Entscheidungen zu treffen – etwas, das vorherige KI-Methoden nicht konnten.

Unterschied KI und Software

Weil heute überall KI drin steckt, lohnt es sich vielleicht zu verstehen, was der Unterschied zu bisheriger Software ist, warum KI als so mächtig angesehen wird.

Software kann man sich wie Rezepte vorstellen – feste Anweisungen, die exakt befolgt werden müssen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Immer gleich. Künstliche Intelligenz (KI) ist eher wie ein lernender Koch. Während ein Rezept genau vorgibt, welche Zutaten und Schritte nötig sind, entscheidet der KI-Koch selbst, wie er an ein Gericht herangeht. Er probiert, lernt aus Fehlern und wird mit jeder neuen Erfahrung besser. Vollkommen selbständig und in atemberaubenden Tempo.

Im Gegensatz zur klassischen Software, die nur festgelegte Befehle ausführt, kann KI aus Daten lernen und sich anpassen. Sie entwickelt jederzeit eigene „Rezepte“ auf Basis von Mustern und Zusammenhängen, die sie in den Daten erkennt, und kann flexibel reagieren, selbst wenn sie zuvor noch nie auf eine bestimmte Aufgabe gestoßen ist. Eine KI versteht zum Beispiel irgendwann, wie Shakespear schreibt – und kann dann im selben Stil ein Gedicht oder eine Geschichte über Donald Trump schreiben.

Software und KI arbeiten komplett unterschiedlich

Heute ist Geoffrey Hinton ein lautstarker Warner

Geoffrey Hinton ist ein Spezialfall: Viele nennen ihn „Godfather of AI“, weil ohne seine Entwicklungen eine KI wie heute nicht mögliche wäre. Doch er hat vor zwei Jahren bei Google gekündigt, um freier über seine Bedenken sprechen zu können. Heute warnt er lautstark vor KI. Aber wovor genau?

Hinton warnt, weil er der Ansicht ist, dass sich die Entwicklung der KI nicht verlässlich voraussagen lässt. Er sieht deshalb in KI mittlerweile eine der größten Risiken der Menschheit. Er forderte im Mai 2023: „Das Risiko des Aussterbens durch KI sollte neben anderen Risiken von gesellschaftlichem Ausmaß wie Pandemien und Atomkrieg eine globale Priorität sein“.

Seine vorderste Sorge ist, dass KI nicht die menschliche Intelligenz simulieren, sondern eine eigenständigen hervorbringen könnte und wohl auch würde, eine, wie er sagt, „neue und bessere Form von Intelligenz“. Wir würden es nur vielleicht nicht unbedingt gleich mitbekommen. Das sei in etwa so, als wären Außerirdische gelandet und wir hätten es nicht bemerkt, weil sie sehr gut Englisch sprechen“.

Jahrzehntelang hat er geglaubt, dass die künstlichen neuronalen Netze niemals mit dem menschlichen Gehirn mithalten könnten. Schließlich gibt es im Gehirn rund 100 Billio­nen neuronale Verbindungen. KI-Modelle kämen nur auf einen Bruchteil davon, höchstens eine Billion. Doch moderne KI-Modelle wie ChatGPT übertreffen diese Kapazitäten längst. Niemand hat vorhergesehen, wie schnell sich Rechen- und Speicherleistung entwickeln.

Müssen wir uns Sorgen machen?

Ich denke, wir sollten die Sorgen des Experten ernst nehmen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass sich KI rasant entwickelt und womöglich eigene Wege geht – und wir spätestens dann, wenn KI in allen Belangen leistungsfähiger als das menschliche Gehirn ist, auch nicht mehr schnell genug nachvollziehen können, was KI für Schlüsse zieht.

Auch muss geklärt werden, wer Verantwortung übernimmt und wer die Macht über dieses mächtigste Werkzeug der Menschheitsgeschichte hat und bekommt. Welche Unternehmen, welche Länder – denn wird schon bald sehr entscheidend sein. Davor warnt der frisch gekürte Nobelpreisträger, völlig zu recht, wenn ich das sagen darf.

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